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Hans Martin Hennig zur Ausstellungseröffnung im Kunstkabinett Max Neumann - Die Unruhe des Dichters und andere Druckgrafik Den Maler Max Neumann habe ich über den Schriftsteller Cees Nooteboom kennen gelernt. Genauer gesagt: über das gemeinsame Buch von Maler und Schriftsteller, das unter dem Titel "Selbstbildnis eines anderen" Prosagedichte von Cees Nooteboom mit Zeichnungen von Max Neumann in einen Dialog bringt. Sofort hat mich die eigenartige Verstörung in den Zeichnungen von Max Neumann elektrisiert. Die stummen Schreie einer wolfartigen Bestie auf dunkel blutrotem Untergrund, die blicklosen Köpfe, die als Gegenüber abgrundtief unter die eigene Haut führen, zu Erinnerungsfetzen, Träumen und Alpträumen, die im offenkundigen Rätselhaften hausen. Zeichnungen von so einer starken und ungewohnten Radikalität, dass Cees Nooteboom in seinen Prosagedichten zurückgenommene, stillere poetische Bilder der Radikalität der Zeichnung entgegensetzt und dazu gibt. "Seelenwanderung findet nicht nach, sondern während des Lebens statt." So lautet das Motto des gemeinsamen Buches. Selbstbildnis eines anderen: das gilt auch für Max Neumanns neunteiligen grafischen Pessoa-Zyklus, der heute in meinem Kunstkabinett zum ersten Mal ausgestellt wird. Die Arbeiten schreiben Fernando Pessoas "Buch der Unruhe" grafisch - bildnerisch weiter. Sie lösen Lektürebilder des Malers aus, die zugleich als Selbstbildnis eines anderen lesbar werden, eines Lesers, eines Malers, eines Schriftstellers, eines Kunstkabinettbesuchers. Das grafische Buch der Unruhe zeigt Metamorphosen, die ein Hin und Her zwischen Leben und Tod, zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zugleich offen legen und im Unbekannten spürbar lassen. Das Sichtbare zeigt das Unsichtbare. Das Unsichtbare zeigt das Sichtbare. Hier verbinden sich Portraitfotos von Fernando Pessoa mit den Linien, Farben und Figuren von Max Neumann, gehen ineinander auf und bleiben nebeneinander stehen. So wird der druckgrafische Pessoa-Zyklus zu einem Ort, wo die Unruhe des Dichters und die Unruhe des Malers wohnen. Es geht um einen mentalen und existenziellen Zustand, der sich im Unterwegssein - dem Reisen und dem Bleiben - als eine Zeit, als ein Raum der Wahrnehmung zeigt. Hier reist das Selbstbildnis eines anderen, kommt zur Sprache als Bild. Der Maler Max Neumann hat für sich die Druckgrafik erst Anfang der 90-er Jahre entdeckt. In einem Ateliergespräch mit Tanja Vietzke am 4.7.2004 erzählt der Maler: "Ich habe gemerkt, dass der Druck natürlich nicht nur eine Form der Vervielfältigung ist, sondern es ist ein ganz anderer Weg, um zur eigenen Bildwelt zu kommen. In der Druckgrafik spaltet sich alles in verschiedene Prozessabschnitte auf. Man sieht nicht sofort alles. Man macht irgendetwas auf der Platte und erhält einen Ausdruck, und es sieht ganz anders aus. In der Druckgrafik passieren pausenlos Katastrophen, aber diese Katastrophen sind produktiv. Man macht einen Fehler, und dieser Fehler ist viel besser, als das, was man sich vorgestellt hat. Das öffnet andere Wege. Ich kann nicht planen. Ich schaue, was passiert. Das ist dann wieder der Prozess, wie in der Malerei. Man beginnt irgendetwas, stößt ein Steinchen an, und etwas kommt ins Rollen. Der Dichter Joachim Sartorius hat mehrere Texte zu Max Neumann geschrieben. Einer heißt "Der Maler der Unruhe": "Auf den ersten Blick sind die Bilder von Max Neumann dem Denken verrammelte, verführerisch imaginativ austapezierte Dunkelkammern. Wo macht sich der erste Blick fest? Nicht an einer Geschichte, nicht an einem Fakt ÉGeschichten, die einem beim zweiten Blick einfallen, drückt das Geheimnis im Bild sofort an seinen Rand. Als gehöre zum Sehen das Irren, zum vergeblichen Enträtseln das Schwindelgefühl. Aus dem Bild trifft kein Blick den Betrachter. Die Menschen, die Tiere, Zwischenwesen von Max Neumann haben zwar Augen, doch nur angedeutete, mandelförmige oder ovale, nicht eines mit Pupille. Das erschwert und erleichtert den Einstieg. Der Blick des Betrachters kann sich nicht an Nähe festmachen, er gleitet sofort in andere Bereiche: in die Tiefe der Vergangenheit der Kreatur auf dem Bild, in Schichten primärer Erlebnisse (Angst, Flucht, von Schwarz aufgescheuchte Träume), in Erinnerungen des eigenen Nervensystems. Er entdeckt die Wiederkehr des Verdrängten. Max Neumann malt keine Gesichter, sondern Gesichte. Max Neumann malt keine Augen, jedes Bild ist ein Augengrund. zurück |